Natur- und Tierpark Goldau

Vom Bergsturz zum Natur- und Tierpark Goldau

Buchauszug aus «WASSERWELTEN IM FLUSS» und «SCHWYZ-INFRA»,
Beide erschienen im Symedya Verlag. Mehr …

Fotos oben: © Axel B. Bott
– Anna Baumann, Direktorin
– 2016 erbaute Auffang-, Pflege- und Quarantänestation
– Besucher im Tierpark
– Familienerlebnis mit Tieren
– Ranger versorgen die Tiere und Automaten mit erlaubten Tierfüttersets für Besucher
– Wölfe und Bär necken und verstehen sich
– Eulengehege
– Bunte Blütenoasen, gut für Insekten
– Schulzimmer im Tierpark

Schicksalsjahr für Arth-Goldau

Am 2. September 1806 bebt in der Gemeinde Arth gegen 17.00 Uhr die Erde. Eine gigantische Gesteinsmasse von über 40 Millionen Kubik­metern aus Nagelfluh und Gnipengestein löst sich vom Rossberg und stürzt 1000 Meter ins Tal. Die Gesteinswelle brandet fächerförmig an der gegenüberliegenden Rigi nochmals 100 Meter empor und überschüttet dabei die Talfläche über 6,5 km2.
Der Ortsteil Goldau wird in wenigen Minuten mit über 100 Häu­sern, 200 Stallungen, zwei Kirchen und zwei Kapellen zerstört. Von etwa 700 Menschen überleben nur etwa 200 die Kata­strophe. 2005 kam es noch­mals zu einer Rutschung, die allerdings nur noch einen klei­nen Teilbereich des Rossbergs umfasste. Weitere Rutschungen sind vorerst nicht mehr zu erwarten.

Der Natur- und Tierpark ist ein Lehrbeispiel für den konstruktiven Umgang mit nicht alltäglichen Ereignissen.
Einerseits die zerstörerischen Auswirkung des Naturschadens. Auf der anderen Seite der positive Leistungswille von Pionieren, einen Verlust in einen Gewinn zu verwandeln.
Es brauchte eine Vision und die Begeisterung für das Schaffen eines Werks.
Den Stärken und Chancen des Tierparks standen hohe Risiken gegenüber.
Doch seine Schwäche, den anfänglichen Mittel- und personellen Defizit, führte zu einem zielgerichteten Lösungsdruck: dem Natur- und Tierpark mit seiner heutigen Angebotsstruktur und weiteren Entwicklungspotenzialen.

Das Wertschöpfungsprofil des Tierparks

Der Natur- und Tierpark Goldau ist ein 1925 gegründeter Verein mit heute 170 Mitarbeitenden und etwa 31 000 Mitgliedern. Die Mitgliedsbeiträge und Spenden betragen etwa CHF 400 000.– p.a., bei 61 Vollzeitstellen, mit einem Jahresbudget von über 9,5 Mio. CHF, von denen bleiben etwa 12 Mio. CHF in der Region.

Der Natur- und Tierpark erhält keine regelmässigen öffentlichen Gelder. Der ganzjährig geöffnete Park begeistert rund 400 000 Besucher. Die Geschäftsleitung teilen sich Anna Baumann, Direktorin; Dr. med. vet. Martin Wehrle, stv. Direktor, Tierarzt, Kurator; Joe Michel, Bau und Infrastruktur; Rahel Keller, Marketing, Verkauf. Organe sind die ehrenamtlichen Verwaltungskommission mit sechs Mitgliedern und der Stiftungsrat mit sechs Mitgliedern sowie der Stiftungsbeirat mit zehn Mitgliedern.

Die Stiftung Natur- und Tierpark Goldau ist die Eigentümerin der tierparkeigenen Liegenschaften. Stiftung und Verein sind ZEWO-zertifiziert, was eine transparente Spendenpolitik gewährleistet. Mitgliedschaften und Partnerschaften bestehen mit zooschweiz, Verband der Zoologischen Gärten (VdZ), vdz-zoos.org, World Association of Zoos and Aquariums WAZA, waza.org (Verpflichtung zur Umsetzung der Welt-Zoo- Naturschutzstrategie), European Association of Zoos and Aquaria eaza.net, SBB RailAway, Schweiz Tourismus, Schwyz Tourismus und vielen anderen mehr.

Zu einem Parkrundgang empfängt mich Anna Baumann, die Direktorin, bei der neuen Tierstation ausserhalb des Parks. In dem multifunktionalen Gebäude sind eine Auffang-, Pflege- und Quarantänestation, eine verpachtete Tierarztpraxis mit Labor, Futterlager und Futterküche, eine Futtertierzucht und eine Metzgerei untergebracht (Tierfutterverwertung von der Region und dem Park für den Eigenbedarf im Tierpark).

Frau Baumann, auf einen Satz reduziert, was unterscheidet den Tierpark von anderen Parks?

«Wir sind das überraschendste, lehrreichste und wildeste Tier-, Arten- und Naturschutzzentrum der Schweiz. Tieren bieten wir artgerechte Lebensräume, vermitteln aktive Erlebnisse mit Tieren, schaffen und veröffentlichen neues Wissen und schützen bedrohte Arten und ihre Lebensräume.»

Dazu kommen einmalige Standortvorteile?

«Ja, die Einbettung im einzigartigen Bergsturzgebiet mit vielen einheimischen und europäischen Tierarten. Unsere Tiernähe ist unerreicht, das kann kein anderer Zoo bieten.
Die Hauptattraktionen sind die Bartgeier, Bären und Wölfe sowie Natur pur auf den Erlebnisrundgängen mit einer tollen Aussicht auf dem Tierpark-Turm über den Schwyzer Talkessel bis zum Zugersee. Fachkundige Ranger machen kreative Führungen für alle Altersstufen und es gibt Outdoor-Spielgruppen. Das Verpflegungsangebot ist top und vor allem: Der Tierpark hat die beste Anbindung an den ÖV, selbst für Autos hat es genügend Parkplätze. Unser Bekanntheitsgrad liegt im Übrigen bei 80 Prozent. Unser Park gilt als drittbeliebtester Tierpark nach Zoo Zürich und dem Basler Zolli. Seit dem Startschuss 1925 hat sich viel getan.»

Mit welcher Strategie meistern Sie die nächsten Jahre?

«Zur weiteren Orientierung wurde mit dem Vereins- und Stiftungsvorstand ein Masterplan verabschiedet. Die Ausgangslage zeigt wirtschaftliche Schwerpunkte im Ertrag bei der Gastronomie, den Eintritten und den Mitgliedsbeiträgen. Diese Bereiche gilt es weiterzuentwickeln wie die Kunden- und Mitgliederansprache. Unsere Kunden und Mitglieder stammen bevorzugt aus dem Kanton Schwyz, der Zentralschweiz und Zürich. Bei Besuchern über RailAway-Tickets sieht die Verteilung differenzierter aus, was auch an anderen Angebotspräferenzen der Verkehrsmittel liegt. Anklang finden unser Nachhaltigkeitskonzept, der bewusste Ressourceneinsatz, die Bergsturzlage, eine zeitgemässe Gastronomie und unsere aktive Arbeit für den Tier-, Arten- und Naturschutz. Der Park bringt drei Forderungen der Nachhaltigkeit auf einen Nenner: Ökologie, Ökonomie und gesellschaftliche Relevanz.»

Wie darf man sich das vorstellen?

«In der Ökologie dominiert der Natur- und Artenschutz, der bei uns über ein spezifiziertes Tierhalte-, Zucht- und Austauschprogramm und ein breites Bildungsangebot vermittelt wird. Die Ökonomie zeigt sich in den Bautätigkeiten bevorzugt beim Einsatz heimischer Materialien. Dies unterstützt die nationale und regionale Naturschutz- und Waldpflege, es sorgt für eine lokale Wertschöpfung. Der Energiebezug kommt mehrheitlich aus regenerativen Quellen.
Die neuen Gebäude wie die Grüne Gans und das multifunktionale Tiergebäude werden energieeffizient und nachhaltig betrieben, d.h. Wärmeerzeugung mittels Wärmepumpen, Wärmerückgewinnung und Solarpanels. Falls weitere Wärme benötigt wird, wird mit Erdgas geheizt. Die Bioabfälle werden durch die Agro Energie der Wiederverwertung zugeführt. Ausserdem achten wir auf eine hohe Energieeffizienz bei den Betriebseinrichtungen. 50 Prozent der benötigten Wassermenge entstammen eigenen Quellen. Die grösseren Wasserflächen im Park sind mit einem geschlossenen Kreislauf mit Pflanzenkläranlagen verbunden.

In Zusammenarbeit mit den SBB RailAway wird die Anreise mit dem ÖV mit vergünstigten Eintritten belohnt. Gesellschaftliche Relevanz wird durch die Arbeits- und Ausbildungsplätze, Weiterbildungen und Kurse bis hin zu sozialem Engagement von Freiwilligen geschaffen. Als Kompetenzzentrum profitiert der Park in nationalen und internationalen Projekten. Der Park übernimmt auch Aufgaben und Aufträge von Behörden im Tierbereich.»

Sie positionieren sich konsequent nach Ihren Möglichkeiten?

«Wir haben die Stärken und Schwächen, Risiken und Chancen bewusst überprüft und daraus unsere Nachhaltigkeitsstrategie abgeleitet. Das Fazit führte zu einem Handlungsprogramm, das unsere Alleinstellungsmerkmale widerspiegelt. Im Wesentlichen können sich heutige Teilbereiche zu Kompetenzzentren entwickeln, das liegt auch an globalen Veränderungen im Tier- und Artenschutz und in einem dynamischen gesellschaftlichen Paradigmenwandel. Es geht doch darum, das Bewusstsein für den Tier-, Arten- und Naturschutz zu entwickeln. Unser Beitrag ist, Erlebnisse, Geschichten und persönliche Emotionen zu verknüpfen.»

Wohin blickt der Park als Unternehmen?

«Potenzial sehen wir neben dem klassischen Leistungsverkauf von Eintritten, Mitgliedschaften und Dienstleistungen im Fundraising und im Legatmarketing. Da uns keine öffentlichen Zuschüsse gewährt werden, liegen im Spendenbereich gute Chancen, für Donatoren attraktiv zu sein. Weitere Bedeutung wird die Verzahnung mit themennahen und zielübereinstimmenden Kooperationspartnern haben, wo immer sich Synergieeffekte nutzen lassen. Ich denke da auch an eine Überprüfung der Preis-Leistungs-Strategie und an digitale Buchungsmöglichkeiten. In der Digitalisierung sind wir bereits sehr fortgeschritten. Mit weiteren Standardisierungen entsteht zusätzliches Potenzial an simpleren Prozessabläufen, Zeitersparnis, Datenqualität und effektiveren Ergebnissen.»

Sie arbeiten an weiteren Investitionsplänen?

«Das ist richtig, dafür setzen wir uns Zeitetappen von drei bis zehn Jahren. Vorrangig sind eine komplette Revision des Besucherbereichs mit Bergsturzmuseum, eine Eulenschlucht, die Kolkrabenvoliere und ein Haustierpark sowie eine Waldrappenvoliere.»

Frau Baumann, die Komplexität des Gesamtbetriebes nimmt dadurch nicht ab. Wie bewältigen Sie persönlich die Herausforderungen?

«Ich neige dazu, mit jeder Anforderung zu wachsen. Gut gelöste Aufgaben sind stets das Fundament für die nächste Schicht an produktiven Erfahrungen. Dazu gehört ein grandioses Team und ein reibungsloses Räderwerk in der Zusammenarbeit, wofür ich sehr dankbar bin. Meine Tätigkeit und Position erlaubt es mir, viel in den Themen zu «reisen» und auch international präsent zu sein. Dem passe ich mich privat an und bleibe geistig beweglich. Vielleicht ist es gerade das, was immer wieder gute Lösungen anzieht …»

Natur- und Tierpark Goldau

Anna Baumann, Direktorin
Parkstrasse 40
6410 Goldau
Tel. 41 859 06 06
info@tierpark.ch
www.tierpark.ch

ÖFFNUNGSZEITEN
Geöffnet täglich ab 09.00

1. April – 31. Oktober 2019
Mo-Fr bis 18.00
Sa-So bis 19.00
Feiertage bis 19.00

1. November – 31. März
Täglich bis 17.00

1. April – 31. Oktober ab 2020
Täglich bis 18.00