VMI-Verbandsmanagement und Dritter Sektor

Gemeinnützige Organisation zwischen öffentlicher Hand und privater Wirtschaft?

Bericht in der H+I-AUSLESE, Ausgabe Mai 2020

Gemeinnützige Organisation zwischen öffentlicher Hand und privater Wirtschaft?

Interviewfragen an Prof. Dr. Markus Gmür, Direktion VMI Verbandsmanagement Institut Universität Freiburg CH

Axel B. Bott

Das VMI ist ein Institut der Universität Freiburg und Teil der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät. Dort hat es sich im Verlauf der letzten 40 Jahre als Nationales Kompetenzzentrum für Forschung und Weiterbildung für Verbände, Stiftungen und Genossenschaften, also den Organisationen des sogenannten Dritten Sektors etabliert.

Was ist der Dritte Sektor, und warum braucht es ihn, wenn man eine funktionierende Verwaltung und eine starke Wirtschaft hat?

Der Dritte Sektor ist zwischen Staat und Verwaltung auf der einen Seite und den erwerbswirtschaftlichen privaten Unternehmen auf der anderen Seite angesiedelt. Historisch kümmert er sich um alle Anliegen und Probleme unserer Gesellschaft, um die sich weder der Staat, noch die Wirtschaft kümmern wollen oder können.

Das Spektrum der Aktivitäten und Organisationen ist breit: Es reicht von Sport- und Freizeitvereinen über Gesundheitsligen und Soziale Hilfswerke, private Bildungsträger und religiöse Vereinigungen, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, Wirtschaftsverbände und Arbeitnehmervereinigungen, Wohnbau- und Infrastrukturgenossenschaften bis zu philanthropischen Förderstiftungen und humanitären Hilfswerken. Und damit sind nur ein paar der zahllosen Organisationen herausgegriffen.

Dahinter stehen Anliegen in unserer Gesellschaft – auf internationaler oder nationaler, kantonaler oder lokaler Ebene – um die sich die staatlichen Institutionen nicht kümmern, weil immer nur beschränkte Steuergelder zur Verfügung stehen. Die Anliegen sind auch oft so speziell, dass es für eine Subventionierung keine politische Mehrheit gibt. Die Wirtschaft auf der anderen Seite nimmt sich solchen Anliegen nur an, wenn sie Geld verdienen kann, weil es dafür eine zahlungsfähige und zahlungsbereite Kundschaft gibt. Man kann sich leicht vorstellen, dass es zwischen Staat und Wirtschaft vieles gibt, um das man sich gemeinschaftlich kümmern sollte, und jedem wird etwas einfallen, was er heute noch vermisst.

Also auch eine Organisation wie H+I – der Schwyzer Wirtschaftsverband übernimmt Aufgaben, die staatliche Institutionen und der Markt nicht erbringen (können)?

Das kann man in der Tat so einordnen und ist typisch für das politische System der Schweiz, das von seinen Wurzeln im 19. Jahrhundert her ausgeprägt wirtschaftsliberal ist. Es ist aber nicht überall so, wie ein Blick über die Landesgrenzen hinaus zeigt: Deutschland und Österreich haben beispielsweise gesetzlich verankerte Wirtschaftskammern mit Pflichtmitgliedschaft. Damit greift der Staat indirekt ein, wo er das in der Schweiz den Wirtschaftstreibenden überlässt, wie sie gemeinsame Interessen regeln wollen (abgesehen davon, dass er heute Kartelle strenger verfolgt als noch vor 50 Jahren). Übrigens könnte man die Anliegen und Aufgaben eines Wirtschaftsverbands prinzipiell auch dem Markt überlassen, statt einen Verband zu gründen: Spezialisierte Dienstleister könnten in Konkurrenz zueinander Normen und Regelwerke entwickeln, Tagungen, Aus- und Weiterbildung sowie Rechtsberatung anbieten genauso wie Lobbying- und Kampagnenleistungen. Aber das würde nicht gut funktionieren, weshalb man so etwas auf unserem Globus auch kaum findet. Der Marktmechanismus macht aus einer Gruppe von Menschen oder Organisationen, die gleiche Interessen verfolgen, individuelle Kunden. Solidarität wird zum Eigennutz. Das Gemeinsame geht verloren oder wird immens teuer. In Wirtschaftsverbänden beruht ja auch Vieles auf ehrenamtlichem Engagement für die gemeinsame Sache, und das ist im Marktmechanismus nicht vorgesehen.

Ist denn ein Verband nicht auch eine Art Unternehmen, das Leistungen erbringt und dafür Einnahmen generieren muss? Wo ist da der Unterschied zum klassischen Wirtschaftsbetrieb?

Die Leistungen, die eine Organisation erbringt, kann man in drei Kategorien einteilen: private, öffentliche und Clubgüter. Ein privates Gut ist ein Produkt oder eine Dienstleistung, die jemand für sich allein kauft; je nach seinen Bedürfnissen bezahlt er dafür mehr oder weniger Geld. Im Markt pendelt sich dafür in der Regel ein Preis ein. Das ist die Domäne der Wirtschaftsbetriebe in allen Branchen. Ein öffentliches Gut bringt auch Nutzen, aber der Preismechanismus funktioniert nicht, weil niemand von der Nutzung ausgeschlossen werden kann: Wer ein Produkt anbietet, mit dem man die Erderwärmung aufhält oder den Vierwaldstättersee blauer macht, wird beklatscht, aber er wird dafür keine Käufer finden, weil alle Schwyzer wissen, dass man das auch haben kann, wenn man dafür persönlich nichts zahlt. Hier müssen je nach Dimension der Kanton, das Land oder die Weltgemeinschaft einspringen, oder es gibt philanthropische Spender, die ihr Geld verschenken.

Und dann gibt es auch noch Clubgüter, mit denen man sich einen Nutzen verschafft und andere davon ausschliessen kann, die nicht dafür zahlen wollen, aber die man nur gemeinschaftlich realisieren kann: z.B. der Unterhalt einer Allmende oder eines Sportplatzes, die Organisation eines geselligen Anlasses oder eine Kampagne für ein gemeinsames Anliegen in der Gruppe. Dafür ist typisch, dass alle profitieren können, aber sie tun es in unterschiedlichem Ausmass (die eine geht öfter auf dem Sportplatz trainieren als die andere, oder auf der Party ist der eine der begnadete Tänzer und der andere hat Hexenschuss).

Es wäre mühsam, wenn hier jeder Nutzer wie auf dem Jahrmarkt für jede Leistung extra zahlen würde, statt sich mit einer einzigen Eintrittskarte frei und nach Lust und Laune auf dem Gelände zu bewegen. Das ist die Domäne der Vereine und Verbände mit ihren Mitgliedsbeiträgen als Eintrittskarten. Die Festsetzung der Leistungen und Mitgliedsbeiträge für eine heterogene Mitgliederbasis ist eine ausserordentlich schwierige Managementaufgabe, die Unternehmen nicht kennen. Eine Verbandsmanagerin oder ein Verbandsmanager müssen hier zwischen unterschiedlichen Interessen jonglieren und ein Modell finden, dass für eine möglichst grosse Mitgliederzahl passt. Gestaffelte Beiträge beispielsweise nach Grösse oder finanzieller Kraft lösen das Problem nur zum Teil. Zwar bieten Verbände oft auch Leistungen an, für die das einzelne Mitglied einen Sonderbeitrag leisten muss, aber der Identitätskern eines Verbands liegt in seinen Clubleistungen. Andernfalls laufen die Mitglieder mit der Zeit auseinander, weil sie die privaten Gütern oft auch woanders einkaufen können.

Viele Nonprofit-Organisationen sind ja gemeinnützig unterwegs. Wie ist da der Verband mit seinem Einsatz für die Interessen der Schwyzer Wirtschaft einzuordnen?

Die Gemeinnützigkeit hat einerseits eine steuerrechtliche Komponente, andererseits ist es auch Teil des eigenen Anspruchs. Vom Staat werden Wirtschaftsverbände (ebenso wie Sportverbände und –vereine mit Aktivitäten innerhalb unserer Landesgrenzen) nicht als gemeinnützig anerkannt. Sie werden als Vertreter von Partikularinteressen eingestuft. Das Selbstverständnis der Vereine und Verbände kann aber durchaus ein anderes sein, und das nach bestem Wissen und Gewissen. Wenn sie sich für etwas engagieren, das über die engen Mitgliederinteressen hinausgeht, erzeugen sie öffentliche Güter. Da zahlen Mitglieder für etwas, das (vermeintlich) auch Nicht-Mitgliedern nützt. Von aussen betrachtet kann man darüber streiten, ob die Allgemeinheit solche „Gratisgüter“ dann auch einhellig befürwortet (z.B. ein wirtschaftsfreundliches politisches Klima im Kanton). Aber erst einmal ist es eben ein gemeinwohlmotiviertes Angebot. Interessant in Verbänden ist, wie gross der Anteil von Aktivitäten und Leistungen ist, die nicht nur Clubgüter, sondern auch öffentliche Güter sind. Das ist eine weitere Herausforderung für das haupt- und ehrenamtliche Management eines Verbands.

Heute sollen Verbände nicht nur einfach Interessen vertreten, sondern sich unternehmerisch und agil verhalten.

Wie gut gelingt ihnen das?

Die Erwartungen an Verbände und andere Nonprofit-Organisationen haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt. In den Verbänden stellen die Mitglieder höhere Erwartungen an die Leistungen und stellen ihre Mitgliedsbeiträge in Frage. Hilfswerke sehen sich mit zunehmend skeptischen staatlichen Stellen oder Spendern konfrontiert. Es reicht nicht mehr aus, einfach auf seine Statuten und seine Mission zu verweisen, sondern man muss zeigen können, dass man mit den vorhandenen Mitteln effizient und wirksam umgeht.

Am VMI untersuchen wir seit ein paar Jahren, wie sehr sich Nonprofit-Organisationen in Richtung unternehmerischer Organisationen entwickelt haben und inwiefern die Organisationen mit einer ausgeprägt unternehmerischen Führung und Kultur die Ziele und Erwartungen besser erfüllen als andere, die nicht so ausgerichtet sind.

Die bisherigen Forschungsergebnisse aus den Bereichen der Sozialbetriebe, der öffentlichen und privaten Spitex sowie des Genossenschaftssektors bestätigen unsere Vermutungen recht gut. Aktuell bereiten wir eine Studie über Unternehmertum in Wirtschaftsverbänden vor. Proaktivität und Innovationsorientierung, Risikobereitschaft und Mobilisierungsfähigkeit sind wichtige Qualitäten, die sich nicht nur Wirtschaftsbetriebe, sondern zunehmend auch die Organisationen des Dritten Sektors aneignen werden.

Das Verbandsmanagement-Institut (VMI) wurde 1976 an der Universität Freiburg/Fribourg gegründet und hat bis heute in der Schweizer Universitätslandschaft eine Sonderstellung. Es widmet sich in seiner Forschung den besonderen Managementproblemen von privaten Nonprofit- Organisationen, also Vereinen und Verbänden, Stiftungen, Genossenschaften und weiteren gemeinwohlorientierten Unternehmen. Die Forschung ist sowohl grundlagen- als auch anwendungsorientiert und wird fortlaufend durch Auftragsforschungsprojekte ergänzt. Das über die vielen Jahre aufgebaute Forschungs- und Erfahrungswissen ist im Freiburger Management-Modell für Nonprofit-Organisationen (FMM) gebündelt.

Das FMM ist die Grundlage für ein umfangreiches Weiterbildungsangebot, das von einwöchigen Lehrgängen bis zu Weiterbildungsstudien auf CAS-, DAS- und MAS-Stufe reicht. Neben den offenen Programmen führt das VMI auch Lehrgänge für Partnerorganisationen durch, darunter Wirtschaftskammern, Rotkreuzorganisationen, die römisch-katholische Zentralkonferenz der Schweiz, den Verband der deutschen Auslandschulen oder Swiss Olympic, den Dachverband des Schweizer Sports.

Markus Gmür

Prof. Dr. Markus Gmür ist Professor für NPO-Management und Direktor des Verbandsmanagement-Instituts der Universität Freiburg/Fribourg. Nach seinem Studium an der Hochschule St. Gallen (HSG) promovierte und habilitierte er sich an der Universität Konstanz zu organisationaler Krisenbewältigung und Personalmanagement. Danach war er Professor an der European Business School (D), bevor er 2008 nach Freiburg berufen wurde.

Institut für Verbands-, Stiftungs- und Genossenschaftsmanagement (VMI) Universität Freiburg/CH

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