Digitalisierung schafft neue Jobs

Organisationsentwicklung und Jobmaschine durch Automatisierung und Digitalisierung

Organisationsentwicklung und Jobmaschine durch Automatisierung und Digitalisierung

Interview mit Prof. Dr. Reto Föllmi, Institutsdirektor, SIAW, Schweizerisches Institut für Aussenwirtschaft und Angewandte Wirtschaftsforschung der Universität St.Gallen.

Auszug aus einem Bericht für die H+I-AUSLESE, Verbandsmagazin des Schwyzer Wirtschaftsverbands.

Autor: Axel B. Bott

Herr Föllmi, das SIAW, ist der Universität St.Gallen angegliedert und behandelt Themen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und der Wirtschaftspolitik. Sie beantworteten beim 14. Wirtschaftsforum des Kantons Schwyz (2019) im Mythen Forum Schwyz, die Frage: Geht uns die Arbeit aus?

In Ihren Antworten stellten Sie fest, nein, Automation und Digitalisierung führen zu neuen Jobs und besseren Arbeitsbedingungen. Wo verschwinden Jobs, wo entstehen neue?

Tätigkeiten, die einfach beschreibbar oder wiederholbar sind, können leicht automatisiert werden. Gerade in der jetzigen Corona-Krise merken wir, welche Arbeiten gut online erledigt werden können und wo der persönliche Kontakt wichtig ist. Das Fliessband hat schon länger manuelle Hilfsjobs im Transport und Abpacken obsolet gemacht. Hilfskräfte zum Tragen schwerer Lasten auf dem Bau werden nicht mehr benötigt. Kassierinnen werden durch Geldautomaten, Pöstler durch EMails ersetzt.

Einerseits ersetzen Computer also Jobs. Auf anderer Seite sind sie aber ergänzend, sie helfen uns die Arbeit besser und schneller auszuführen. Neue Jobs entstehen nicht nur im ITBereich als Systembetreuer, App-Entwicklerin oder Supporter.

Die Computerisierung schafft viele Schnittstellenjobs mit Projektleitungsaufgaben und Stellen, wo Übersetzungsarbeit aus den Daten hin zu den Kunden wichtig ist. Und die Digitialisierung führt zu mehr Wohlstand, was die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen, aber auch Kultur und Freizeit mit all ihren Stellen wachsen lässt.

Was ist das produktive Element der Digitalisierung, d.h. wo verbessert sie durch die Umwandlung manueller, analoger Tätigkeiten die Wertschöpfung?

Befreit vom Abzählen der Banknoten, haben Bankangestellte Zeit, ihre Kunden für Darlehen oder Vorsorge zu beraten. CAD hat schon länger die Tätigkeit von Hochbauzeichnern und Architekten vereinfacht und somit neue Jobs geschaffen, weil besser auf individuelle Kundenbedürfnisse eingegangen werden kann. Maschinelles Lernen zur Bewertung von Versicherungsschäden oder dem Sortieren von Prozessakten wird die Arbeit von Revisoren und Juristen erleichtern und neu gestalten.

Ist die Angst von Jobverlusten begründet oder ist es eine grundsätzliche Angst vor Veränderungen? Wieso kann Digitalisierung den Menschen nicht ersetzen?

Seit fast 200 Jahren leben wir schon mit der Automatisierung und sie hat laufend neue und besser bezahlte Stellen geschaffen. Aber damit geht ein Strukturwandel einher, der manche Jobs und ganze Branchen ersetzt. Fertigkeiten, die eine lange Grundausbildung erforderten, werden obsolet, wenn das ein lernendes Programm besser kann. Verständlicherweise weckt dies Ängste, ob die eigene Stelle und Ausbildung die nächste ist. So gut Artifical Intelligence aber auch ist, der Mensch ist immer noch zentral, wenn es um das Lösen menschlicher Probleme geht. Das gilt für massgeschneiderte Lösungen in Industrie und Dienstleistungen. Maschinen und Programme haben immer eine – wenn auch sehr wertvolle – helfende Funktion. Menschliche Beratung hat aber einen Mehrwert, denn jemand muss den Output der Maschine erklären. Aus gegenseitiger Erfahrung kennt ein menschliches Gegenüber die Bedürfnisse am besten.

Ist die Optimierung von Energie und Prozessen der einzige Vorteil oder ist uns die Digitalisierung zum Selbstzweck geworden, Thema Künstliche Intelligenz?

Auch künstliche Intelligenz wird vorab Prozesse verbessern. Denken wir an alle Such- , Sortier- und Diagnosetätigkeiten. Aber sie erlaubt uns auch, bessere Produkte zu generieren. Als Beispiel sei das Auswerten von Konsumentendaten genannt, um deren Bedürfnissen besser auf die Spur zu kommen. In jeder technologischen Revolution gibt es aber auch Spielereien und Innovationen, die sich nicht durchsetzen, weil es keine Nachfrage gibt. Reinen Selbstzweck bezahlt der Markt nicht.

Wenn Maschinen lernen, besser als der Mensch zu sein, weshalb kann der Mensch als Art nicht durch die Maschine ersetzt werden?

Das ist fast eine philosophische Frage. Maschinen sind nicht als Menschen geboren, haben darum schon mal einen Nachteil, wenn es um Erfahrungen und Emotionen geht. Da ist viel implizites Wissen. Wir wissen viel mehr, als wir erzählen und beschreiben können. Auch für einen Einstiegsjob nach der Lehre reicht ein Stellenbeschrieb alleine nicht aus, um ihn 100% zufriedenstellend auszuführen. Ein Mensch kann einschätzen, einordnen, Spannungen in der Firma oder mit dem Kunden besser verstehen und deuten. Ein grosser Vorteil der Digitalisierung ist das Zurückholen von Produktionsstandorten aus dem Ausland wieder in die Schweiz. Denn bei internationalen Standards und optimierten Produktionsbedingungen wird der Werkplatz Schweiz wieder attraktiv. Es fallen Transportkosten, Zeiten und Zollbürokratien weg.

Fördert Automatisierung also auch ins Ausland verloren gegangene Arbeitsplätze?

Diese Chance sehe ich auch. Automatisierung lässt die Kernkompetenzen stärker zu Tage treten, was die Produktivität hier erhöht, weil sich unsere gut ausgebildeten Arbeitskräfte auf das konzentrieren können, was sie besser können: Individuelle Lösungen, Flexibilität, Eingehen der Kundenbedürfnisse über den ganzen Lebenszyklus eines Produktes. Zwar werden repetitive Tätigkeiten erst recht ausgelagert, die erzielten Kosteneinsparungen stellen aber die Basis dar, die hohen Schweizer Löhne bezahlen zu können.

Ein Argument gegen Plagiate ist die fehlende Erfahrung bei komplexen Produkten, was die westliche Wirtschaft der asiatischen voraus hat. Erfahrung könne man nicht kopieren und bleibt ein Vorteil der originären Hersteller.

Wird Erfahrung künftig noch mehr zum Alleinstellungsmerkmal in Verbindung mit der Digitalisierung?

Erfahrung ist genau das, was nicht fein säuberlich einem Computerprogramm aufgeschrieben werden kann. Und ein asiatischer Student, der hier studiert, wird diese hoffentlich mitnehmen, muss aber zuhause in einem anderen Umfeld den Weg erst nachvollziehen. Maschinelles Lernen und Erfahren wird aber auch besser. Ein originärer Hersteller muss in der Kundennähe und im Spüren der Bedürfnisse des Marktes immer einen Schritt voraus sein.

Welche Erfahrung hat die Schweizer Wirtschaft, die andere Produktionsstandorte nicht haben (können), auch hinsichtlich internationaler Alleinstellungsmerkmale?

Gut ausgebildete Arbeitskräfte, einen noch flexiblen Arbeitsmarkt und ein stabiles politisches Umfeld. Das hat zu einer sehr produktiven und international breit differenzierten Exportindustrie beigetragen.

Sie sagen, der PC oder die Wirtschaft brauche stets einen menschlichen Erklärer. Was heisst das für Universitäten oder Verbände?

Die HSG und unser Institut sind natürlich stark in der Wissensvermittlung und Anwendung engagiert. Dieser Lernprozess funktioniert auch stark über das gegenseitige Feedback aus der internationalen Forschungsgemeinschaft aber auch aus der Industrie. Verbände, die Wissen bündeln, werden hier auch eine wichtige Rolle spielen können.

Wo liegen Ihrer Einschätzung nach die besonderen Chancen der Digitalisierung für den Kanton Schwyz?

Digitalisierung erleichtert uns, trotz physischer Distanz gut zusammenzuarbeiten. Das ist für einen kleinen Kanton ohne grosse Zentren besonders wichtig. Lokale Standortfaktoren wie gutes Steuerklima, Bildungsangebot und Lebensqualität sind in Zukunft erst recht entscheidend.

Prof. Dr. Reto Föllmi, Institutsdirektor
SIAW, Schweizerisches Institut fürAussenwirtschaft und Angewandte
Wirtschaftsforschung der Universität
St.Gallen.

SIAW, Schweizerisches Institut für Aussenwirtschaft und Angewandte Wirtschaftsforschung

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