STEINEL Solutions AG: smarte Beschaffungswirtschaft

Bildlegende: Marco Lang, CEO STEINEL Solutions AG, PCBA: Elektronische Leiterplatten mit Komponenten, SMD-Bauteile auf Rollen (IC – Integrierter Schaltkreis), SMD-bestückte Leiterplatten (Widerstände und Kondensatoren), SMD-Rohmaterial auf Rollen (Widerstände).Fotos © STEINEL Solutions AG

STEINEL Solutions AG: mit smarter Beschaffungswirtschaft Risiken in Chancen verwandeln

Interview mit Marco Lang, CEO STEINEL Solutions AG, Axel-B: Bott

Die STEINEL Solutions AG in Einsiedeln ist eine eigenständige Unternehmenseinheit der seit dem Jahr 1959 bestehenden STEINEL Gruppe mit weiteren europäischen Standorten in Deutschland, Tschechien, Rumänien und Republik Moldau. Das Unternehmen begleitet seine Kunden als OEM-Partner mit Dienstleitungen von der Idee bis zum Produkt und liefert einen nachhaltigen Benefit, da Kunden Beratung, Industrialisierung, Fertigung und Produktentwicklung mit Expertise in Sensorik, Kommunikation, Low-Power- und Zulassungsmanagement aus einer Hand beziehen können. Dieses Setup als One-Stop-Shop von STEINEL Solutions ist ziemlich einzigartig in Europa. Innovativ ist nicht nur das Geschäftsmodell, die Leistungen und die Produktperformance, smart ist auch die Beschaffungsstrategie. Denn in der heutigen Zeit mit der Krise am Beschaffungsmarkt ist dasjenige Unternehmen im Vorsprung, welches rechtzeitig den Bedarf erkennt, aktiv kommuniziert und Kunden direkt involviert sowie vorausschauend Verfügbarkeiten sichert. Das dient nicht nur einem sichereren Rohstoff- und Komponentenbezug, sondern belebt gleichzeitig das Geschäft und trägt entscheidend zur Arbeitsplatzsicherheit bei.

Herr Lang, die STEINEL Solutions ist trotz eingebrochener Warenflüsse im internationalen Beschaffungsmarkt gut im Geschäft. Warum ist das so?

Wir haben die Situation am Beschaffungsmarkt schon früh beobachtet, seit Anfang 2020 als erste Anzeichen auftauchten und Warnungen konkret wurden. Es geschieht ja nichts zufällig und unser Einkauf hat den notwendigen «sense of urgency» erkannt. So haben wir ebenfalls bereits im Februar 2020 unsere Kunden mit ersten Lageberichten informiert, um mittels transparenter und klarer Kommunikation die Optionen darzustellen und Empfehlungen abzugeben. Das Vertrauen in STEINEL zeigte sich als enorm gross, denn fast alle unsere Kunden sind den Handlungsempfehlungen gefolgt. Sie müssen verstehen – wir sprechen von verbindlichen Bestellungen und Verpflichtungen über einen Zeitraum von bis zu 18 Monaten im Voraus.

Das heisst, über Ihre Servicekultur sind Sie rechtzeitig über den Handlungsbedarf, Beschaffungszeitpunkte und Auftragspotenziale informiert. Soweit so gut. Wenn sich aber unerwartet Lieferengpässe, besonders in sensiblen Baugruppen wie Elektronik verschärfen?

Ja, die Verzahnung zwischen uns und unseren Kunden wird tiefer, was notwendig ist, um Handlungsbedarf und Auftragspotenziale zu identifizieren. Aber obwohl wir sehr gut über die Marktsituation als auch die Bedürfnisse und Planungen unserer Kunden informiert sind, können auch wir Beschaffungszeitpunkte nicht mehr in jedem Falle bestätigen, sondern grundsätzlich nur laufend Verfügbarkeiten, Bestellzyklen und mögliche Engpässe nach bestem Wissen neu bewerten und Handlungsempfehlungen kommunizieren. Die Verschärfung der Situation am Beschaffungsmarkt für Elektronik und damit Lieferengpässen und -einbrüchen sind bereits Tatsache. Und zwar bei aktiven und passiven Komponenten. Bei sensiblen Baugruppen ist der Markt teilweise wie «leergefegt». In einigen Fällen ist ein Zukauf von Komponenten möglich, aber nur mit extremen Mehrkosten. Sogenannte «Broker» – vergleichen Sie diese mit Spekulanten an der Börse – machen zwar Lieferungen möglich, doch mit Aufschlägen um mehr als über das 300-fache des Regulärpreises. Das belastet die Finanzkraft aller beteiligten Unternehmen in der Lieferkette. Nebenbei steigen die Kosten im Warenlager und der Logistik. Es gibt zudem Lieferanten von Rohmaterial, insbesondere elektronische Chiphersteller, die aufgrund der hohen Nachfrage keine Bestellungen mehr vor Sommer 2022 bestätigen wie annehmen – hier wird von Allokation gesprochen.

Das heisst?

Will sagen, Besteller kommen in eine Warteschlange mit unbekannter Wartezeit. Komponenten, die in Allokation sind, werden bestimmten potenziellen Verwendern nach spezifischen Kriterien zugeordnet. Verlassen Besteller durch Verschiebung der Bedarfsmenge die Warteschlage, verlieren sie die Lieferpriorität. Eine Stornierung ist bei NCNR-Artikeln teilweise ebenfalls ausgeschlossen (NCNR = non cancelable / non returnable). Wir empfehlen unseren Kunden deshalb seit November 2020, dass sie verbindliche, rollende Bestellungen platzieren – und zwar mind. 12 Monate im Voraus, im neusten Lagebericht von diesem Oktober nennen wir sogar 14-16 Monate als Vorlaufszeit. Die Aufträge platzieren wir bei den Herstellern und Lieferanten basierend auf den Forecasts und Bestellungen unserer Kunden. Die Lieferzeiten für die Bauteile entlang der ganzen Lieferkette sind jedoch wegen diverser Gründe so hoch, dass für Bestandsprodukte bis Q3/2022 «die Würfel als gefallen» angesehen werden müssen. Wer also jetzt noch keine Bestandsprodukte bestellt hat, wird unter einer Vorlaufszeit von ca. 50 Wochen schlicht kein Material erhalten. Hier geht es dann ans Eingemachte – schlimmstenfalls um Arbeitsplätze.

Das erklärt Liefertermine von Produkten für bereits platzierte Bestellungen etwa im Frühjahr 2023?

Genau, denn sobald das Material da ist, müssen Sie die Produktionszeit dazurechnen. Bei hochkomplexen Produkten sind das teilweise mehrere Hundert Komponenten auf einer elektronischen Platine. Da verzögert sich ein Liefertermin schnell ins Frühjahr 2023. Denn fehlt nur eine Komponente, kann nicht gestartet werden. Die gleiche Voraussicht betrifft übrigens Produktentwicklungen. Wir empfehlen fast gleichzeitig mit der Entwicklung auch die Materialbeschaffung zu starten. Da beides aktuell ca. 18 Monate dauert, wäre die «Start of Production» somit gleich nach erfolgreich umgesetzter Produktentwicklung möglich. Es hängt also vom Kunden ab, wie vorausschauend er bereits vor Monaten handelte und wie finanzkräftig er ist. Wir binden unseren Kunden einen Kranz, denn sehr viele haben auf unsere frühen Handlungsempfehlungen reagiert, wirken aktiv mit und schenken uns in jeder Hinsicht ihr Vertrauen. 

Fehlen Komponenten, kann die Fertigung nicht starten. Es gibt also dann auch nichts zu verkaufen?

Eindeutig. Fehlende Teile verzögern oder verunmöglichen teilweise die Auftragsdurchführung. Es bedingt eine äusserst solide Finanzkraft, um das durchzustehen. Denn allein schon ein einziges Kleinteil im Rappen-Bereich kann eine Fertigung blockieren, obwohl alle anderen für das Produkt notwendigen Komponenten bereits im Warenlager liegen und die Fertigung somit starten könnte. Dazu kommt die extrem erschwerte Fertigungs- und Lieferplanung. Vor allem, wenn Kunden in einem Produkt Komponenten haben, die auf «Allokation» stehen, wissen wir nicht oder erst sehr kurzfristig, wann diese geliefert werden. Sobald die fehlenden Komponenten geliefert werden, kann es zu Kapazitätsengpässen in der Produktion kommen – denn meist kommt alles Material «auf einmal» – was viel Erfahrung und Flexibilität in der Planung bedingt. Die STEINEL Solutions hat zum besseren Umgang mit dieser Situation in eine weitere SMD-Linie (Surface Mounted Device = oberflächenmontierte Bauelemente) sowie in Prüfmittel und Personal am Standort Einsiedeln investiert.

Konkret gesagt, was sind die Gründe für die Lieferengpässe und Preisaufschläge?

Die Ursachen für die dramatische Situation am Beschaffungsmarkt sind vielschichtig, schwer einzuschätzen und haben teilweise wechselseitige Auswirkungen. Klar ist, es gibt einen Rohstoffmangel. Dies, zusammen mit verringerten Kapazitäten in den Herstellerwerken und Produktionsausfällen aufgrund von Covid-19 und einem «Power Cut» in China – unter anderem – führt zu einer Bauteileknappheit. Verschärft wird die Situation durch die steigende Nachfrage nach elektronischen Komponenten und Kunststoffen sowie wegen anhaltenden Investitionen in 5G, IoT (Internet of Things), AI (Artificial Intelligence) und VR (Virtual Reality). Auch trägt der Home-Office-Effekt dazu bei, dass die Nachfrage nach mobilen Geräten (PC, Monitore, Laptop, Tablet, Smartphone), Unterhaltungselektronik oder Wearables markant gestiegen ist. Dann sind das Cloud Computing, enorme Investitionen inmedizinische Geräte und die postpandemische Erholung der Autoindustrie wie auch der Übergang zur Elektromobilität im Automobilsektor, weitere Gründe. Weiter kann es auf den Logistikwegen zu erneuten und unerwarteten Verzögerungen in der Haverie kommen, beispielsweise wegen Winterstürmen, Bränden und Covid-19-Ausbrüchen in Chinesischen Häfen, oder Wassermangel. Zusammenfassend kann man sagen, dass sich alles markantverteuert; Rohstoff-, Komponenten-, Logistik- und Lagerkosten legen zu. Von den aktuellen Energiepreisexzessen und der Inflation haben wir hier aber noch gar nicht gesprochen. Willkommen in der VUCA-Welt!

Hat deswegen die STEINEL Solutions ein proaktives und smartes Beschaffungsmanagement entwickelt?

Unser Ansatz ist nicht neu, wir verfolgen schon lange ein proaktives und smartes Beschaffungsmanagement. Wir merken aber, dass die Kundenbindung steigt und Zusammenarbeit immer wichtiger wird, denn es muss eine tiefereVerzahnung mit Bedürfnissen und Planungen der Kunden geben. Deshalb auch die transparente und klare Kommunikation als Massnahme. Ohne vorausschauende Planung und laufende, enge Abstimmung bezüglich Forecasts mit unseren Kunden und Lieferanten würde unsere Situation und die unserer Kunden definitiv anders aussehen. Die ständige Bedarfsabklärung kann also gleichzeitig Absatz-und Verkaufsförderung sein und ist unabdingbar für die Sicherung von Arbeitsplätzen. In unserer Kommunikation richten wir unseren Blick ganz bewusst auch in die Zukunft. Wir regen unsere Kunden an, ihren Fokus rechtzeitig auf Neues und Innovatives zu legen. Daneben empfehlen wir die Neubewertung von Reshoring-Kapazitäten und Reduktion logistischer Abhängigkeiten. «Keep it simple» heisst es so schön; Komplexitäten und Distanzen reduzieren, regionallokal denken und handeln (Schweiz, Europa), Synergien nutzen, um Wertschöpfung und Mehrwertpotenziale zu erhöhen. Als Partner begleiten wir natürlich gerne!

Damit eröffnen Sie mit Ihren Massnahmen sogareine smarte Form der Unabhängigkeit?

Ja, eigentlich schon. Damit haben die aktuellen Ereignisse auch etwas Gutes, denn es geht – gemeinsam – nur in eine Richtung. Und das ist die Zukunft!

Weitere Informationen:

• TTI Inc.: Passives and Discretes Market Update Q4 2021. Mehr …

• Rebound Electronics: Market Insight Q3 2021
Mehr …

• STEINEL Solutions: Lagebericht zur Entwicklung der Beschaffungsmarktsituation V.
Mehr …

• STEINEL Solutions: Lagebericht zur Entwicklung der Beschaffungsmarktsituation VI.
Mehr …

STEINEL Solutions AG
Allmeindstr. 10
CH-8840 Einsiedeln
Telefon 055 418 21 11
info@steinel.ch
www.steinel.ch